Dr. h.c. Charlotte Knobloch
Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern K.d.ö.R
Ehemals Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland
Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress
Anlässlich des Gedenkens an den Genozid an den Griechen im Pontos-Gebiet am 05.05.2019
– Grußwort –
Hochwürdige Vertreter der Geistlichkeit.
Sehr geehrter Herr Fotiadis.
Sehr verehrte Frau Regierungspräsidentin Els.
Sehr verehrte Frau Generalkonsulin Konstantinopoulou.
Sehr verehrte Frau Professor Dr. Zadoff.
Sehr geehrter Herr Dr. Spaenle.
Sehr geehrte Damen und Herren. Liebe griechisch-Münchner Freunde aus dem Pontos-Gebiet,auch wenn ich heute nicht persönlich mit Ihnen der Opfer des Genozids an den Griechen aus Pontos, Kleinasien und Thrakien vor 100 Jahren gedenken kann, so ist es mir doch ein besonderes Anliegen, Ihnen mit ein paar Worten meine tief empfundene Verbundenheit und Anteilnahme zum Ausdruck zu bringen.
Die griechische und die jüdische Gemeinde in München verbindet seit vielen Jahren eine herzliche, vertrauensvolle, ja freundschaftliche Beziehung. Wir teilen freudige Anlässe, wir teilen Trauer und Schmerz – und wir stehen Seite an Seite im Gedenken und Erinnern.
Das erleben wir gerade wieder in diesen Tagen Ende April/Anfang Mai, wenn wir die verschiedenen Jahrestage der Befreiung vom Nationalsozialismus, der Befreiung der Konzentrationslager und des Endes von Weltkrieg und Holocaust begehen. Das unvorstellbare Grauen der Vergangenheit hat tiefe Wunden in unseren Seelen, in unseren Familien, Gemeinschaften und Ländern hinterlassen, einen Schmerz, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Geteiltes Leid ist nicht halbes Leid. Aber geteilter Zusammenhalt und geteilte Hoffnung, verehrte Anwesende, trösten uns – und sie geben uns Kraft in unserem Kampf gegen das Vergessen und gegen das allzu verbreitete Unwissen und Nicht-Wissen-Wollen.
Wir dürfen nicht vergessen und wir müssen mehr wissen. Das gilt auch für den brutalen und gnadenlosen Vernichtungskrieg gegen die Griechen aus Pontos und Kleinasien, der vor 100 Jahren, im Mai 1919, in seine grausame Endphase ging. Dieser Genozid gehört zu den finstersten Kapiteln der Geschichte des 20. Jahrhunderts, die uns vor Augen geführt haben, zu welcher Grausamkeit der Mensch imstande ist.
Plünderung, Deportationen und Todesmärsche, Zwangsumsiedlung und Zwangsarbeit, Mord und Massaker – die Pontos-Griechen wurden im Osmanischen Reich Opfer einer systematischen, ideologischen Vertreibung und Vernichtung. Was mit dem zynisch-verharmlosenden Begriff „Bevölkerungsaustausch“ umschrieben wurde und im Vertrag von Lausanne 1923 nachträglich den Anstrich der Legalität verpasst bekam, erfüllte die Straftatbestände von Völkermord.
Heute trennen uns von jenen Grausamkeiten 100 Jahre und die Erfahrungen eines weiteren Weltkriegs sowie des Menschheitsverbrechens des Holocaust. Heute leben wir in einem demokratischen Rechtsstaat, dessen Gründer sehr bewusste Lehren aus dem Unvorstellbaren gezogen haben. Und wir leben heute in einem demokratischen geeinten Europa, das auf fast 75 Jahre Frieden zurückblicken darf. Unser höchstes Gut sind die Würde des Menschen und die universell gültigen Menschenrechte.
Und doch: Täglich erleben wir, wie antastbar die Würde des Menschen ist, wie Menschen wieder ausgegrenzt, diffamiert und erniedrigt, körperlich angegriffen und ermordet werden – hier bei uns in Deutschland, in ganz Europa und auch in der einstigen Heimat der Pontos-Griechen. Nationalismus und Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass feiern erschreckende Erfolge. Viele von uns kennen solche Anfeindungen aus eigener Erfahrung.
Wir wissen, wozu der Mensch im Guten wie im Bösen imstande war – und ist. Und wir wissen, dass das Böse nicht mit einem großen Schritt die Bühne des Geschehens betritt, sondern in vielen weniger großen, vermeintlich kleinen Schritten. Gerade deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass die Opfer, ihre Namen, Geschichten und Schicksale in Vergessenheit geraten.
Wir gedenken in Liebe und Trauer.
Wir erinnern in Verantwortung für ein friedliches, respektvolles Miteinander und für unsere freiheitliche Demokratie.
Liebe Freunde, Wir werden nicht vergessen –
Den tha xechásoume!
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